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Alles reine Verhandlungssache? Wie sich das Harvard-Konzept in interkulturellen Verhandlungen umsetzen lässt
Die Globalisierung stellt Manager, Export- und Vertriebsleiter vor neue Herausforderungen. Die weltweite Suche nach neuen Kunden, Zulieferern oder Geschäftspartnern setzt die Fähigkeit voraus, in allen oder zumindest vielen Teilen der Welt erfolgreich Verhandlungen zu führen. Verhandlungen im internationalen Kontext sind jedoch häufig mit viel mehr Unsicherheiten behaftet, als Verhandlungen im eigenen, vertrauten Umfeld.
Nach welchen Spielregeln laufen Verhandlungen in anderen Kulturen ab? Wie kann oder sollte ein bestimmtes Verhalten interpretiert werden? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um zum Abschluss zu kommen? Welche Rolle spielt der Zeitfaktor?
Internationale Verhandlungen werden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren auf viele verschiedene Weisen geprägt. Wenn auch nicht der einzige Faktor, so sind kulturelle Unterschiede doch ein wichtiges Element bei internationalen Verhandlungen. Der erfolgreiche Verhandler muss diese Faktoren identifizieren, bewerten und flexibel darauf reagieren können. Dabei ist es kaum möglich, die kulturellen Besonder- und Eigenheiten aller Verhandlungspartner genau zu kennen. Die zunehmende Komplexität internationaler Beziehungen erfordert daher universell gültige Vorgehensweisen, die sich je nach Erfordernis auf individuelle Situationen anpassen lassen.
Neben zahlreichen Unterschieden gibt es zwischen internationalen Verhandlungspartnern auch einige Gemeinsamkeiten. Eine Gemeinsamkeit und der Grund, warum sich Verhandlungspartner an einen Tisch setzen, ist regelmäßig das gemeinsame Interesse an einem guten Verhandlungsergebnis. Wie ein gutes Verhandlungsergebnis subjektiv von den einzelnen Verhandlungspartnern definiert wird, kann durchaus divergieren. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass beide Verhandlungspartner eine konstruktive Grundeinstellung haben und ein positives Verhandlungsergebnis (Win-Win-Situation) auf beiden Seiten im Mittelpunkt steht, so sind die im Rahmen des „Harvard Negotiation Project“ an der Harvard Law School von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton entwickelten Grundsätze für sachgerechte und faire Verhandlungen weltweit erfolgsversprechend.
Verhandlungen nach dem „Harvard“-Prinzip folgen einem einfachen Muster und basieren auf den folgenden vier Grundprinzipien:
Zwischen Beziehungs- und Sachebene unterscheiden
Verhandlungen finden stets auf zwei Ebenen statt: der sachlichen Ebene (Verhandlungsgegenstand) und der Beziehungsebene (Emotionen der beteiligten Personen und ihre Beziehung zueinander. Beide Ebenen müssen bei der Verhandlungsführung beachtet werden, denn eine rein sachliche Verhandlung gibt es nicht. Die Beziehungsebene hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf die Sachebene. Eine gute Arbeitsbeziehung beeinflusst unmittelbar das sachliche Ergebnis der Verhandlungen, eine schlechte Arbeitsbeziehung kann im schlimmsten Fall zum Abbruch der Verhandlungen führen, obwohl auf der bloßen Sachebene durchaus eine Lösung erzielen könnte. Das Vermischen von Sach- und Beziehungsebene ist ausgesprochen menschlich, in Verhandlungen aber ausgesprochen kontraproduktiv. Um sich erfolgreich mit beiden Elementen auseinander zu setzen, müssen sie voneinander getrennt und anders behandelt werden: „hart“ in der Sache, „weich“ gegenüber der Person.
Interessen und Vorstellungen erforschen anstatt Stellungen beziehen
Ein häufiger Fehler bei Verhandlungen ist, dass die Verhandlungsparteien über Positionen feilschen. Dies ist nicht nur zeitraubend, sondern häufig auch wirkungslos. Die einzige Lösung, die auf dieser Ebene häufig erzielt werde kann, ist ein Kompromiss, der für beide Parteien in aller Regel gleich unbefriedigend ist. Ein weiteres wichtiges Grundprinzip des Harvard-Konzeptes ist daher, die hinter den Positionen liegenden Interessen zu ergründen und sich gegenseitig über die jeweiligen Vorstellungen ins Bild zu setzen. Auf der Basis ihrer gemeinsamen Interessen können die Verhandlungsparteien in einem nächsten Schritt nach konstruktiven Lösungen suchen.
Optionen gemeinsam erarbeiten
Das dritte Grundprinzip der Harvard-Methode ist die planvolle Entwicklung von Lösungsalternativen. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass das Beharren auf der „einzig wahren Lösung“ und die vorschnelle Ablehnung eines anderen Lösungsmodells oft in die Sackgasse führen. Vor allem beim Suchen nach Optionen, die die Interessen beider Seiten gleichermaßen befriedigen, ist Kreativität gefragt.
Neutrale Beurteilungskriterien entwickeln
Die langfristige Akzeptanz einer getroffenen Vereinbarung hängt ganz wesentlich davon ab, ob die beteiligten Verhandlungspartner die Lösung als ausgewogen und nachvollziehbar betrachten. Um entwickelte Lösungsoptionen möglichst objektiv bewerten zu können, sollten neutrale Beurteilungskriterien herangezogen werden. Dabei geht es vor allem darum, eine Lösung auf nachvollziehbare und legitime Prinzipien zu gründen. Dies können einerseits Kriterien sein, auf die sich beide Parteien gemeinsam verständigt haben oder die von keiner der Parteien beeinflusst werden können. Zu letzterem zählen z.B. Marktpreise, Gutachten oder auch Handelsbräuche.
Um das Harvard-Konzept auch im interkulturellen Kontext erfolgreich einsetzen zu können, bedarf es neben der Methodenkenntnis zusätzlich interkultureller Verhandlungskompetenz. Verhandlungsführer müssen die Fähigkeit entwickeln, kulturelle Unterschiede zu erkennen, richtig interpretieren und flexibel darauf reagieren zu können. Diese Art von Verhandlungskompetenz ist nicht angeboren. Sie kann jedoch gezielt und bewusst z.B. durch gezielte Trainingsmaßnahmen oder Einzelcoachings weiterentwickelt werden.
Erfolg bei interkulturellen Verhandlungen ist keine Glückssache! Er ist das Ergebnis guter Vorbereitung und einer ausgeprägten interkultureller Verhandlungskompetenz.
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