China und Indien auf der Überholspur
Die Wirtschaft in China boomt und keiner hat das über 30 Jahre steigende Wirtschaftswachstum vorausgesehen. Auch nicht als China Hongkong 1997 von den Briten zurück erhielt. Damals ging man davon aus, dass Hongkong eins wird mit dem Rest Chinas, so wie es mit der DDR in Deutschland geschah. Doch bis heute gibt es zwei Systeme in einem Staat.
Die Gründe reichen weit zurück. China betrachtet sich nicht als Nationalstaat im europäischen Sinne, sondern seit über 2000 Jahren als Zivilisation. Geprägt von seiner langen Geschichte, sowie der geografischen und demografischen Vielfalt, entsteht das Identitätsgefühl als Teil eines dezentralen Zivilisationsstaats. Im Gegensatz dazu ist die nationale Identität in Europa ein Produkt des Zeitalters von Nationalstaaten.
Die kulturellen Besonderheiten in China sind unter anderem mit einem ausgeprägten Familienverständnis, dem Verhältnis zwischen Volk und Staat, konfuzianischen Werten, Traditionen und in ihrem Netzwerk der persönlichen Beziehungen (guanxi genannt) verwurzelt.
Eine Legitimation erfährt China durch die Sicht seiner Einwohner. Sie sehen China als Hüter, Vertrauten, Freund und Familienoberhaupt an. Dies spiegelt sich auch in ihrer Sprache wieder, in der, anstelle des Ausdrucks Nationalstaat, der Begriff „Nationalfamilie“ verwendet wird. Diese Familie als Einheit zu bewahren, zählt zu ihren höchsten Prioritäten.
In diesen kulturellen Unterschieden sind grundlegende Verständnisprobleme zwischen der westlichen Welt und China verankert. Die Gefahr liegt im Euro- und Westzentrismus, welcher sich zum universellen Maßstab entwickelt hat, wie Martin Jacques, Autor des Buches “When China Rules the World” und Gastprofessor in Peking im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 15. Januar 2011 schrieb. Den Fehler, den westliche Kulturen bei der Betrachtung Chinas häufig machen, ist die Kategorisierung nach westlichen Werten und die eigene Kultur als die Überlegenere zu sehen. Deshalb haben diese Kulturen häufig Schwierigkeiten den phänomenalen Aufstieg Chinas zu verstehen. Eine gelungene Kooperation mit chinesischen Partnern ist jedoch an eine Bedingung geknüpft: die Kultur zu verstehen und zu begreifen. Europäer, wie auch Amerikaner, müssen dafür erst einen Perspektivenwechsel annehmen. Da sich keine andere, wie die asiatische Kultur so stark von der deutschen Kultur unterscheidet, kann eine Sensibilisierung mithilfe eines interkulturellen Trainings erreicht werden.
Ein Schritt in die richtige Richtung setzt Deutschland mit gemeinsamen Veranstaltungen wie dem „chinesischen Kulturjahr“ oder dem Forum “chinesisch-deutsche Zukunftsbrücke“. Bei seinem kürzlich erfolgten Besuch in Deutschland weist der stellvertretende Premierminister Li Keqiang auf Chinas Kooperationsbereitschaft hin. Durch die Verbesserung der Wirtschaftsgesetze und der Investitionspolitik in China ergeben sich für deutsche Unternehmen neue Chancen in den chinesischen Markt zu investieren. Besonders in der Land- und Materialwirtschaft, sowie im Umwelt- und Energiebereich sollen sie Kooperationen eingehen. Li Keqiang rät zur besseren Ausschöpfung des Investitionspotenzials. Aufgrund der wirtschaftlichen Komplementarität von China und Deutschland sieht er für beide Völker Vorteile in einer Zusammenarbeit.
China, wie auch Indien, holt auf dem globalen Markt auf. Beide Länder wurden bisher unterschätzt. Bemängelt wird zum Beispiel ihr Bildungssystem. Nur wenige Absolventen in Asien sind fit für das Berufsleben, da ihr Ausbildungssystem unter anderem auf rote learning Methoden beruht. Diese legen den Fokus auf das Auswendiglernen. Doch den Bedarf an Weiterbildung haben die Unternehmen bereits erkannt und bieten interne Trainings an.
Chinesischen Webtechnologie Start-ups haben ihre eigenen Äquivalente zu Google wie die Suchmaschine Baidu und Sina, dem Kurznachrichtenportal Twitter ähnelnd. Die gegenwärtigen Entwicklungen positionieren China und Indien als selbstbewusste Größen, nicht nur auf ihren heimischen Märkten, sondern auch auf dem globalen Markt. Made in China galt für manche bislang als Zeichen eines billig produzierten Produkts und ist mit negativen Assoziationen behaftet. Das schlechte Image kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chinesen beweisen: Sie sind sehr gute Produzenten, haben einen Wissensgleichstand und zeigen zudem ihr Entwicklungspotenzial.
Zudem profitiert China von der Rückkehr vieler einheimischer Fachkräfte aus dem Ausland. Die rückkehrenden Ingenieure erhalten Führungspositionen, hohe Prämien und lehren in der Heimat den Aufbau von Unternehmen auf Weltklasseniveau. Mit der Weiterentwicklung der Produkte und innovativen Kreationen vollzieht sich der Wandel, sodass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Marke Made in China zum Qualitätsmerkmal wird.
Wie groß das Bewusstsein der westlichen Welt über Chinas Vormarsch ist, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation. Bildung und Forschung, das sind die Gebiete, die Präsident Obama mehr fördern will. Er sieht die USA vor der großen Herausforderung stehend wie einst 1957, als die Sowjetunion Vorreiter in der Raumfahrt war.