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Blick über den Tellerrand: Diversity Management (DM) anderswo
In Australien wurde vor einigen Jahren mit folgender historischen Schilderung für DM geworben: Als Kapitän James Cook am 26.8.1768 den Hafen von Plymouth verließ, war er für 94 Mann Besatzung an Bord der ENDEAVOUR verantwortlich. Für die nächsten vier Jahre leitete er eine sehr vielfältige und multikulturelle Crew
- 62 Engländer, 9 Schotten, 7 Iren, 5 Walliser, 3 Amerikaner, 2 Afrikaner, 2 Brasilianer, 1 Schwede, 1 Finne, 1 Italiener, 1 Tahitianer;
- 8 Offiziere, 77 Seeleute, 9 Wissenschaftler/Zeichner;
- mit sehr unterschiedlichen religiösen und politischen Überzeugungen.
Die Kernaussagen der Kampagne lauteten: (1) Wir sind ein klassisches Einwanderungsland. (2) Schon unser „Entdecker“ kam mit einer sehr vielfältigen Schiffsbesatzung an Land. (3) Kulturelle Diversität ist für Australien bis heute von besonderer Bedeutung und gilt als der zentrale Konkurrenzvorteil im internationalen Wettbewerb. DM wird dort häufig sehr ökonomisch interpretiert und mit dem Label „productive diversity“ versehen. So ging zum Beispiel das Catering von QUANTAS schon früher als bei anderen Fluggesellschaften auf religiös motivierte Essenswünsche der heterogenen Passagiere ein. AUSTRALIA POST ermittelte vor einigen Jahren, dass mehr als 30% der Beschäftigten in Sortier- und Verteilzentren einen Hochschulabschluss aus einem Drittland nachweisen konnten und begann diesen „Schatz“ systematisch zu heben.
Managing Diversity in den USA
Im Mutterland des Konzepts ist DM längst zu einer Institution geworden (ähnlich wie das Qualitätsmanagement). Kaum ein Großunternehmen kann es sich dort leisten, gänzlich auf Diversity-Initiativen zu verzichten. Von den derzeit 313 Mio. Amerikanern sind ca. 50 Mio. hispanics or latinos, ca. 39 Mio. black or african americans und ca. 15 Mio. asian americans. Die Marktmacht dieser großen Gruppen ist nicht zu unterschätzen und aus diesem Talentpool wollen viele Organisationen schöpfen. Also werden zum Beispiel Produktwerbe- und Rekrutierungskampagnen in spanischer Sprache aufgesetzt, um neue Kundengruppen zu erschließen und interessante Nachwuchskräfte zu gewinnen. An vielen großen Krankenhäusern gibt es inzwischen Dolmetscherdienste, nachdem sprachliche oder kulturelle Missverständnisse schon häufiger zu Todesfällen geführt haben. Gesetzlich geschützt sind andererseits auch zahlenmäßig kleine Diversity-Gruppen, wie zum Beispiel die native indians oder auch veterans, die in keinem Diversity-Bericht fehlen dürfen. Die Arbeitgeber fürchten Niederlagen in Anti-Diskriminierungsprozessen mit hohen Strafzahlungen und sehen im DM auch einen Nachweis für eigene Präventionsbemühungen.
Kanadische Vielfalt
Kanada ist stolz auf seine Einwanderungspolitik und den Multikulturalismus als ideologische Basis für eine gelebte Vielfalt. Es grenzt sich dabei gerne gegenüber dem „großen Bruder“ USA ab und hält an der Metapher des mosaic gegenüber dem US-amerikanischen melting pot fest. Was ist mit diesen Bildern gemeint? Die Einwanderer nach Kanada (heute vor allem Chinesen, Inder und Pakistani) können die Besonderheiten ihrer Herkunftsländer weiter pflegen und tragen mit ihrer Individualität zu einem bunten nationalen Gesamtbild bei. Im Schmelztiegel USA hingegen gibt man seine ursprüngliche Identität auf und wird durch Assimilation zu einem guten Amerikaner. Die in Kanada besonders geschützten Angehörigen ethnischer Gruppen werden unter dem Begriff visible minorities erfasst. Es ist faszinierend zu beobachten, wie viele Hochschuldozierende zu diesen Gruppen gehören. Kanadische Universitäten haben ein strategisches Interesse daran, sehr gute Forschungskontakte nach Asien, Lateinamerika und Europa zu unterhalten. Daher werden gezielt Personen angeworben, die sich auf den dortigen Märkten auskennen sowie Kontakte zu Wissenschaftlern und Unternehmen im jeweiligen Land herstellen können. Die Chancengleichheit im gesamten Bildungsbereich ist ein wichtiger Aspekt des Diversity Managements in Kanada. Kinder von Einwanderern haben im Land der sehr guten PISA-Ergebnisse alle Möglichkeiten, ihre Bildungskarriere mit einem Hochschulabschluss zu beenden.
Das Erbe der Apartheid
Geht es in vielen Ländern weltweit darum, ethnische Minderheiten besonders zu schützen, so ist die Ausgangssituation in Südafrika eine andere: Dort wurden über Jahrzehnte ca. 80% der Bevölkerung gezielt diskriminiert. DM wird am Kap der guten Hoffnung auch dazu eingesetzt, das Unrecht der Vergangenheit langsam wieder auszugleichen (zum Beispiel durch Quotenregelungen). Bei SIEMENS Südafrika sind über 50% der supervisory-Stellen mit Personen aus den diskriminierten Gruppen besetzt und ca. 70% der Neueinstellungen kommen aus diesem Pool. Das größte Bauunternehmen MURRAY & ROBERTS vergibt diverse Stipendien für schwarze und weibliche Nachwuchskräfte. Die Bank INVESTEC unterstützt mit ihrem Entrepreneurwissen gezielt Existenzgründungen von Schwarzen. Insgesamt gilt es für die Diversity-Initiativen, einige nationale Besonderheiten zu beachten: so gibt es 11 offizielle Landessprachen, sind ca. 10% der Bevölkerung HIV positiv und es leben ca. 3 Millionen illegale Einwanderer in Südafrika.
Zur Situation in Europa
Fragt man ERASMUS-Studierende an deutschen Hochschulen, ob sie in ihren Heimatländern schon mit DM konfrontiert wurden, dann antworten die Briten, Niederländer und Dänen häufig: „Ja, das steht bei uns in den Lehrbüchern“. Während zum Beispiel die Iren und Finnen von dem Konzept noch wenig gehört haben. Auch deutsche Studierende sind mit der Diversity-Idee in der Regel kaum vertraut, wenn sie ins Berufsleben einsteigen. Eine These zur Erklärung könnte lauten: Je homogener sich ein Land selbst wahrnimmt, desto schwächer ist der Druck, sich grundsätzlich mit personeller Vielfalt auseinander zu setzen. Es sind eher die niedrigen Arbeitslosenzahlen und der Fachkräftemangel, die in Ländern wie Österreich, Deutschland oder der Schweiz das DM vorantreiben. Dabei gibt es auch im deutschsprachigen Raum inzwischen sehr interessante Diversity-Initiativen: Besonders große Arbeitgeber (z.B. Daimler, Deutsche Bank, Henkel) wollen damit die besten Absolventen gewinnen und halten. In der Stadt Wien leben ca. 30% Menschen mit Migrationshintergrund und die Verwaltung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt der Kunden auch in der Zusammensetzung der Beschäftigten abzubilden. Kleinere Unternehmen gehen gezielt auf ihre Kunden ein und bieten Produkte und Dienstleistungen für ganz bestimmte Diversity-Gruppen an. Man denke an Handys für Senioren, Fitness-Center für Frauen oder kultursensible Pflegedienste.
Fazit
Insgesamt wird DM in weiten Teilen der Welt als interessantes Konzept zur Wahrnehmung, Anerkennung, Wertschätzung und Nutzung von personeller Vielfalt in Organisationen angesehen. Es vereint moralische, juristische und ökonomische Aspekte und kann als strategische Klammer genutzt werden, um bereits existierende Initiativen zusammen zu fassen. In jedem Land müssen nationale Besonderheiten berücksichtigt werden und es gibt eine große Vielfalt von DM-Systemen. Die Potenziale von DM sind in Deutschland bei weitem nicht ausgeschöpft. Das Konzept wird uns voraussichtlich noch über Jahre hinweg beschäftigen.
Erschienen in “Plattform Das Magazin für interkulturelle Wirtschaftskommunikation”.
Zum Autor:
Günther Vedder
Dr. Günther Vedder, Diplom-Kaufmann und Diplom-Soziologe, beschäftigt sich seit 2001 mit Diversity Management. In den Jahren 2004/2005 lernte er während eines Forschungsaufenthalts die Anwendung des Konzepts in Australien, Kanada und den USA kennen. Seit Oktober 2011 ist er am Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover tätig und bietet dort regelmäßige Lehrveranstaltungen mit Diversity-Bezug im Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft (WA) an. Sein besonderes Interesse gilt der Anwendung des Konzepts im internationalen Vergleich. Er hat in den letzten Jahren ca. 25 Fachartikel und Bücher zum Diversity Management publiziert.
(Gründer-) Kultur beeinflusst Unternehmertum
Deutschland ist kein Gründerland. Zu diesem Ergebnis kam die “Global Entrepreneurship Monitor” (GEM) Studie der Leibniz-Universität Hannover als sie in einer repräsentativen Stichprobe Personenbefragungen, Experteninterviews und Ländervergleiche auswertete. Danach liegt Deutschland auf Rang 15 von 20 untersuchten Ländern. Nur 4,1 Prozent der 18- bis 64 Jährigen hatte 2009 versucht, ein Unternehmen zu gründen oder das in den vergangenen dreieinhalb Jahren getan. Das ist deutlich weniger als in der Schweiz oder auch in Großbritannien.
Interessant sind die Gründe, warum z.B. die USA so viel mehr erfolgreiche Unternehmensgründungen hervorzubringen scheinen, während Deutschland und andere Länder Europas ihnen hinterher hinken.
Die zahlreichen Unterschiede liegen vor allem im Wertesystem der Gesellschaft begründet. Eines der größten Hindernisse für das deutsche Unternehmertum ist das Stigma des Scheiterns, das ihm immer noch anhaftet. Das Scheitern bzw. die Angst davor ist für die Hälfte der deutschen Befragten ein Grund, die Finger von der Selbständigkeit zu lassen. In Deutschland ist der geschäftliche Misserfolg eines Jungunternehmens oftmals mit einem ähnlichen Stigma behaftet wie ein Privatkonkurs. In den USA hingegen wird es zwar als unglückliche, aber im Endeffekt lehrreiche Erfahrung betrachtet. Da verwundert es nicht, dass sich hierzulande eher aus wirtschaftlicher Not, als aus Berufung für die Gründung eines Unternehmens entschieden wird. Darüber hinaus wird – anders als in Deutschland – beispielsweise in den USA der Unternehmerstatus als eine erstrebenswerte berufliche Tätigkeit betrachtet.
Wer nun meint, die Lösung liege darin, die amerikanischen Werte und Verhaltensmuster zu kopieren und damit das Wertesystem des eigenen Landes in eine unternehmerfreundlichere Richtung zu verschieben, der sei gewarnt: Eine schlechte Kopie führt häufig zu einem schlimmeren Ergebnis als das ohnehin schon schlechte Original! Es sei hier nur an die europäischen Banken und Immobilienspekulanten erinnert, die versucht haben, aggressive amerikanische Geschäftsmethoden zu kopieren, ohne sie offenbar wirklich zu verstehen.
Ein weiterer Schlüssel für die geringen Unternehmensgründungen liegt nach Expertenmeinung in der fehlenden Gründerkultur. „Deutschland bringt zu wenige junge Unternehmen mit einer echten Wachstumsstory hervor, die es bis in die internationale Top-Liga schaffen”, sagt Hendrik Hollweg, Mitglied der Geschäftsführung von Ernst & Young Deutschland. Top-Ingenieure in Deutschland gehen aus diesem Grund eher zu etablierten Großkonzernen, als selbst ein Unternehmen zu gründen. Erfolgreiche Vorbilder können deshalb dabei helfen, die Scheu vor dem Unternehmertum abzubauen.
Lösungen können jedoch darin liegen, erfolgreiche Vorbilder noch viel mehr als bisher in das positive Licht der Öffentlichkeit zu rücken und über Unternehmer-Mentoringprogramme den Weg für Startups in eine erfolgreiche Zukunft zu ebnen.